SGA - Im Dunkeln - 7/7
Aug. 7th, 2009 10:26 pm![[personal profile]](https://www.dreamwidth.org/img/silk/identity/user.png)
Teil 6
Mit einem innerlichen Seufzen wandte John sich vom Anblick der untergehenden Sonne vor seinem Fenster ab. Zwei Tage, seit Carson ihn entlassen hatte, und er war der Lösung seines Problems noch keinen Schritt näher gekommen.
Das Einzige, was er getan hatte, war Zeit schinden, indem er Rodney erst einmal aus dem Weg gegangen war. Eine Taktik, die nur so lange funktionierte, wie er Carsons „lassen sie’s ruhig angehen, Colonel“ vorschieben konnte. Spätestens morgen, bei der Nachbesprechung der Palatia-Mission, würden sie im selben Raum sitzen. Und er wusste, dass McKay mit ihm reden wollte. Zweimal war er ihm gerade noch entwischt. Rodney konnte Bluthund-Qualitäten entwickeln, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
John ließ sich, so wie er war, in Uniform und Stiefeln, aufs Bett fallen, legte die Hände auf den Bauch und starrte an die Decke, die auch keine Antworten für ihn parat hatte.
Sein verletzter Finger schmerzte, eine Folge der Physiotherapiestunde, die seine Heilung beschleunigen sollte. Überdehnte Gelenkkapsel lautete die Diagnose. John musste unwillkürlich lächeln. Gute Reaktion von Rodney, ihm einen Finger umzubiegen und sich so zu befreien. Dass er die Hand trotz Schmerz und Schwellung danach noch bewegen konnte, war nur ein Indiz dafür, wie high er in diesem Kerker gewesen war.
Der Kerker.
Johns Lächeln verschwand wie weggewischt.
Egal woran er in den letzten Tagen dachte, früher oder später führte es ihn immer wieder dorthin zurück.
Denn jetzt konnte er wieder klar – klarer – denken, dank Carsons Destillat aus Pajunis Beruhigungsdroge. Von unerwünschten Substanzen befreit und hoch genug dosiert ein ausgezeichnetes Mittel gegen die Wirkung der Sporen, wie Carson herausgefunden hatte. Zu viel von dem Zeug in seiner Ursprungsform lähmte allerdings den Herzmuskel, während eine winzige Menge, wie die in Rodneys Tee, hauptsächlich ein starkes Schlafmittel war, das nebenbei die Aufnahme der Sporen in den Körper verlangsamte und den Abbau ihres Giftes beschleunigte.
Nur deswegen war es Rodney gelungen, halbwegs bei Verstand zu bleiben.
John bedeckte seine Augen mit einem Arm.
Pajunis Mittel und Rodneys halsstarriges Durchhaltevermögen hatten ihnen das Leben gerettet.
Während ihm selbst die Zügel entglitten waren, die er seinem eigenen Verlangen seit Jahren anlegte.
Er biss sich auf die Lippen.
Bisher waren es nur flüchtige, rasch unterdrückte Gedanken gewesen, ein Wunschtraum, nichts Reales – jetzt aber hatte er echte Erinnerungen, wusste, wie Rodneys Körper sich gegen seinen gepresst anfühlte, wie er küsste, wie … Verflucht, wie sollte er das je wieder in den hintersten Winkel seines Sinnes stopfen und so tun, als existiere es nicht?
Frustriert ließ er die unverletzte Faust auf die Matratze fallen.
Und warum hatte Rodney sich überhaupt auf den Kuss eingelassen, verdammt? Das war doch die Frage, nicht wahr?
Lieber den Verrückten küssen, als von ihm erwürgt zu werden?
War das die gute oder die schlechte Antwort? Die Antwort, die er hören wollte? Es war die sichere Antwort. Diejenige, auf die er vernünftigerweise hoffen sollte.
Und wenn es gar nicht so einfach war?
Was, wenn dieses Sporenzeug auch bei Rodney Wahrheiten an die Oberfläche gespült hatte?
Was, wenn sich rausstellte, dass alles, was noch zwischen ihm und Rodney stand ein Haufen Regeln war? Ein Haufen Regeln und das Risiko, Atlantis und damit auch Rodney zu verlieren?
Zum Teufel, er war nicht gut in solchen Sachen. Das Scheitern seiner Ehe war der beste Beweis dafür und nicht Nancys Schuld gewesen. Das, was Nancy zermürbt hatte – seine „Mauern“, wie sie es ausgedrückt hatte - war nach wie vor da. Nicht anzunehmen, dass Rodney geduldiger war als seine Ex.
Er hatte es damals nicht geschafft, über seinen Schatten zu springen. Nicht für Nancy.
Aber für Rodney?
Nein, er war wirklich nicht gut in solchen Sachen.
Der Türsummer ertönte und riss ihn aus seinen Grübeleien. Natürlich, keine Frage, wer ihn ausgerechnet jetzt besuchen wollte. John holte tief Luft, schwang die Füße über den Rand des Bettes und öffnete die Tür.
~ooOoo~
Rodney - wer sonst? Mit der stur-entschlossenen Miene, die er sonst für widerspenstige Antikertechnologie reservierte und ihrem Schachbrett unterm Arm.
„McKay, ich ...“
Rodney drängte sich an ihm vorbei, noch bevor sich die Tür ganz geöffnet hatte. Also schön. „Hallo McKay, komm doch rein“, bemerkte John ironisch zur leeren Türöffnung, ehe er sich mit einem resignierten Seufzen umdrehte. Offenbar war jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen.
Mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn beobachtete er, wie Rodney das Schachspiel auf dem kleinen Tisch aufbaute und dabei hauptsächlich die rechte Hand benutze. Rodney schonte den linken Arm. Warum denn das?
„Was ist mit deinem Arm?“, fragte John und hätte sich im selben Moment in den Hintern treten können. Wo hat sich McKay höchstwahrscheinlich in den letzten Tagen den Arm verletzt, hm, John?
Rodney sah rasch auf, den weißen König in der Hand. „Was? Oh, die Schulter. Das ist in der Zelle passiert. Nicht weiter schlimm.“ Er wich Johns Blick aus, stellte die Spielfigur auf das Schachbrett und rückte sie mit umständlicher Sorgfalt genau in die Mitte des kleinen Quadrats.
Nicht weiter schlimm?
Wie bitte? McKay ließ sich die Gelegenheit für einen langen Monolog über die verheerenden und schmerzhaften Folgen einer Schulterverletzung entgehen? Das klang gar nicht gut. Die ganze Sache ging Rodney offenbar wirklich sehr an die Nieren.
John presste die Lippen zusammen und nickte. Sein Blick fiel auf die verblassenden Würgemale an Rodneys Hals und ihm wurde bei dem Anblick ein klein wenig schlecht. Es war knapp gewesen. So verdammt knapp. Seine eigenen Blessuren, die Rodney ihm verpasst hatte, waren weitere Zeugen davon, wie verzweifelt McKay sich gewehrt hatte. Gegen ihn. Er schluckte gegen die Übelkeit an.
„So, wir spielen jetzt“, verkündete Rodney und machte eine auffordernde Geste in Richtung Schachbrett.
Schärfer als beabsichtigt erwiderte John: „Oh, tatsächlich? Seit wann planst du meine Freizeit?“
Rodney ignorierte sowohl Frage als auch Tonfall und seufzte. „Ernsthaft, Sheppard, ich weiß nicht, mit wem ich sonst spielen soll, solange ich noch nicht ganz auf der Höhe bin. Zelenka hat jetzt eine echte Chance gegen mich – die er sonst nie hätte – und es macht ihn tagelang unerträglich selbstgefällig und bockig, wenn er einmal mühsam gegen mich gewinnt.“
John hatte größte Probleme, sich einen bockigen Zelenka vorzustellen geschweige denn, einen Rodney, der davor flüchtete. Es war das durchsichtigste Manöver aller Zeiten. Rodney suchte seine Gesellschaft. Und dafür hätte er ihn am liebsten einfach an den Schultern gepackt und geküsst. Er wollte zwar dem Gespräch aus dem Weg gehen, aber Rodney selbst hatte ihm gefehlt, in den vergangenen Tagen.
Den letzten Kommentar konnte er aber keinesfalls so stehen lassen. Er grinste schief und zielte mit dem Zeigefinger auf Rodney. „Was, McKay? Du willst also sagen, dass du mich für den Einzigen hältst, der momentan dumm genug ist, um gegen dich im Schach zu verlieren?“
Das war endlich wieder vertrautes Terrain, die Art, wie sie normalerweise miteinander umgingen.
Rodney verzog das Gesicht. „Das … ähm … kam wohl anders heraus, als beabsichtigt.“ Er atmete tief durch, sah John direkt in die Augen und sagte zögernd: „Hör zu, ich weiß, du … du willst nicht reden, über M8H-435 und …“
Aha! „McKay, das ist …“
Rodney brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Und was dort passiert ist. Mir ist auch klar, dass du mir deswegen seit Tagen aus dem Weg gehst.“
John biss sich auf die Lippe. „Das ist nicht ganz …“, begann er.
„Neinneinnein.“ Abwehrend hob Rodney die Hand. „Schon in Ordnung. Ich nehme das nicht persönlich, sondern als das, was es ist – ein weiterer Teil dessen, das dich zu …“, seine Hand wedelte vor John auf und ab, „dir macht.“
John quittierte die Bemerkung mit einem Augenbrauenhochziehen.
„Was ich damit sagen will, ist, wir müssen nicht reden. Nur … nur spielen. In Ordnung?“
Rodneys Stimme verlor bei den letzten Worten etwas von ihrer aufgesetzten Forschheit.
Der letzte Rest Widerstand in John schmolz.
„Nicht reden? Soll ich „Schach matt“ dann per Morsezeichen auf den Tisch klopfen?“, fragte er mit milder Ironie und zog sich einen zweiten Stuhl heran.
Rodney setze sich mit einem geradezu strahlenden Lächeln. „Dazu wird es nicht kommen, Sheppard“, sagte er und reckte herausfordernd das Kinn. „Ich habe nicht vor, zu verlieren.“
Rodney steuerte trotzdem von Anfang an direkt auf eine Niederlage zu und spielte so unkonzentriert, dass John sich ernsthaft fragte, ob Rodney für ein Schachspiel tatsächlich schon fit genug war. Ab und zu hielt Rodney inne, als lausche er auf irgendetwas.
„Hörst du das?“, fragte Rodney schließlich, als er nach seinem Springer griff.
„Was?“ John sah sich um.
„Nichts, nichts“, winkte Rodney ab und starrte angestrengt auf das Schachbrett. Seine Hand, mit der er die Spielfigur absetzte, bebte leicht.
Nach drei weiteren Zügen sprang er plötzlich auf, stolperte hastig in Johns Badezimmer und blieb schwer atmend vor dem Waschbecken stehen, die Hände so fest um den Beckenrand geklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
„Rodney, was …?“ John schoss aus seinem Stuhl, hastete zu Rodney und blieb hinter ihm stehen. Er beobachtete das blasse Gesicht seines Freundes im Spiegel. Rodney sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. „Rodney ist dir … ist alles okay?“, fragte er atemlos.
„Ich … ich höre Wasser tropfen“, flüsterte Rodney und ließ den Kopf hängen. „Die ganze Zeit. Nur dass … dass es nicht der Wasserhahn ist oder die Dusche, wie ich jetzt feststelle.“ Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Das passiert immer wieder. Manchmal sehe ich Griffin, Griffins Leiche und …“ Hastig blinzelte er. „Carson sagt, dass es bald vorübergeht.“ Rodney schnaubte. „Offensichtlich weiß er selbst nicht wirklich, wie dieses Moos-Zeug genau auf den Körper wirkt.“
„Kein Wunder“, bemerkte John mit rauer Stimme und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Die Versuchung war zu groß, sie auf Rodneys angespannte, gebeugte Schultern zu legen, in seinen Nacken gleiten zu lassen, das weiche Haar dort zu berühren.
Rodney holte tief Luft. „Ich sage mir immer, dass es nicht echt ist, aber … Es ist nur so verdammt real, manchmal.“
John dachte an heiseres Fauchen und die Berührung einer kalten, nicht menschlichen Hand an seiner Brust – jeden Abend kurz vor dem Einschlafen, wenn es ganz dunkel war in seinem Quartier - und murmelte: „Ich weiß.“
Rodney suchte seinen Blick im Spiegel. „Du … du auch? Hört du, oder siehst du auch manchmal noch …?“
„Ab und zu“, sagte John leichthin und tat die Albträume der letzten Tage mit einem Schulterzucken ab.
Rodney drehte sich zu ihm um, lehnte sich ans Waschbecken und schluckte hart. „Enge Räume. Es ist … besonders schlimm in engen, kleinen Räumen.“
John musterte Rodneys erschreckend blasses Gesicht für einen Moment, ehe er mit dem Kopf in Richtung Tür deutete. „Komm, gehen wir raus. Ich kann auch etwas frische Luft gebrauchen.“
~ooOoo~
„Ich … ich habe mit Heightmeyer gesprochen – gestern“, erwähnte Rodney, während er seine Bierdose öffnete. „Offensichtlich habe ich diesen Jumper-Unfall von damals doch nicht so gut verkraftet, wie ich gedacht hatte.
„Ja, scheint so.“ John blickte auf den nächtlichen Ozean hinaus. Es war schön, hier draußen am Pier. Ruhig und friedlich. Unter ihm die sanfte Brandung der Wellen, über ihm die Sterne. Er spürte, wie sich unter der Weite des Himmels und der Endlosigkeit des Ozeans etwas in seinem Innern entspannte.
„Jedenfalls meint sie, dass ein paar weitere Sitzungen wohl nötig sind.“
„Viel Spaß“, entgegnete John ironisch. Rodney genoss die Routine-Sitzungen bei Heightmeyer – eine Stunde, in der er nur über sich und seine Wehwehchen reden konnte – aber er war alles andere als begeistert von den Seelenstrip-Runden nach schiefgelaufenen Missionen, die ihn dazu zwangen, über seine tatsächlichen Ängste zu sprechen. Was den letzten Punkt anging, waren sie beide nicht sehr verschieden.
„Und du und dieser Wraith, anscheinend hast du da auch noch einiges aufzuarbeiten, hm?“
„Ich will nicht darüber reden“, erwiderte John abweisend und trank einen Schluck Bier. Er würde es tun müssen – mit Heightmeyer. Zumindest würde er pro forma die verordneten Sitzungen bei ihr durchstehen und nach Möglichkeit mit wenigen Worten das sagen, was sie hören wollte. Darin hatte er Übung. Was Heightmeyer aber leider inzwischen nur zu gut wusste.
Rodney schnaubte. „Keine sehr gesunde Einstellung, Sheppard. Reden hilft, gewisse Dinge zu verarbeiten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls, wenn man mit der richtigen Person redet.“
John warf ihm einen langen, warnenden Seitenblick zu. Klar, dass Rodney seine Einladung zu Bier am Pier für einen Freibrief hielt, über das zu sprechen, was in Palatia geschehen war. Was auch grundsätzlich kein Problem darstellte – solange Rodney das Reden übernahm.
Eine Weile tranken sie schweigend. John beobachtete das Glitzern des Mondlichts auf dem Wasser. Es war beruhigend, fast hypnotisch. Ach, verdammt, er wollte nicht einmal darüber nachdenken, was in der Zelle passiert war, jetzt, da er es konnte, da sein Gedächtnis wieder halbwegs mitspielte. Es präsentierte ihm auch so schon mehr Details, als ihm lieb war.
Die erstickende Angst vor diesem Wraith, die er nur zu leicht in die vertraute, kalt-beherrschte Entschlossenheit, den Feind um jeden Preis auszuschalten, verwandelt hatte.
Fokussiert, zielgerichtet - um die Bedrohung zu beseitigen. Nur dass er die Bedrohung gewesen war. Eine tödliche Bedrohung für Rodney. Und das, obwohl er sich nach der Sache mit dem Wraith-Gerät auf M1B-129 geschworen hatte, es nie mehr zu so etwas kommen zu lassen.
Die Details waren nebelhaft, aber das, woran er sich erinnerte …
Nein, nichts was er jetzt oder in Zukunft mental wiederkäuen wollte.
Lebendige, schweißfeuchte Haut unter seinen Fingern, seinen Lippen. Eine Hand in seinem Haar, elektrisierend, erregend.
Oh, verflucht, das würde ihn jedoch noch lange verfolgen.
Entschieden unterdrückte er diese Erinnerungen. Nichts woran er denken sollte, während der Mann neben ihm saß. Er trank den letzten Schluck seines Bieres, stellte die leere Dose neben sich und nahm sich eine neue.
„Ich … ich frage mich, was davon real war, was wirklich geschehen ist“, sagte Rodney leise. „Ich bin mir bei einigen Dingen nicht sicher. Denn einiges ist bestimmt nicht geschehen, weil es unmöglich ist, dass … nun, weil einiges eben unmöglich sein kann.“
John runzelte verwirrt die Stirn. Wieso konnte das unmöglich passiert …? Oh, die Jumper-Geschichte, vermutlich, und Griffin. „Ich denke du quatschst schon mit Heightmeyer darüber.“
„Ja, aber nicht über alles. Manches ist zu … privat.“
Oh, das klang nicht nach der Jumper-Sache.
Rodney schluckte hörbar. „Darüber sollte ich besser mit … mit dir reden.“
Natürlich. Mit ihm.
John fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Ihm war der fragende Ton in Rodneys Stimme nicht entgangen und er musste dessen Gesicht nicht sehen, um genau zu wissen, dass Rodney seine Lippen jetzt in dieser Mischung aus Unsicherheit und sturer Herausforderung zusammengepresst hatte. Rodney würde nicht locker lassen, so viel war klar.
John biss sich auf die Lippe, spielte mit dem Verschluss der Bierdose und starrte demonstrativ in die Ferne, dorthin, wo das tanzende Licht auf den Wellen mit dem Sternenhimmel verschmolz.
Rodney seufzte. „Hör zu Sheppard, ich will nur sicher sein, dass …“ Er unterbrach sich und holte tief Luft. „Ich bin Wissenschaftler, John. Ich brauche Fakten.“ Rodney stockte erneut und rieb sich die Stirn. „Also, was ich meine ... wenn Fakten da sind, wenn man sie erfahren kann, dann ...“
Der Hauch Unsicherheit in Rodneys Stimme ließ etwas in John nachgeben.
„John, es gibt nur eines, was ich wissen muss. Nur eine Frage. Ich – ich kann nicht leben mit der ... mit Ahnungen und Mutmaßungen, wenn ... wenn ...“
Jetzt klang Rodney hilflos und verloren und das war … einfach falsch. So sollte Rodney nicht klingen dürfen. Irritiert, genervt, wütend, beißend sarkastisch – ja. Aber nie verloren. „Okay“, hörte John sich sagen und erschrak vor seiner eigenen Courage.
„Wenn …“ Rodney unterbrach sich mitten im Satz. „Was? Okay?
„Frag einfach, bevor ich mir’s anders überlege.“
„Hast du mich geküsst, weil es das ist, was du wirklich willst?“, erwiderte Rodney ohne Zögern, aber mit so viel Hoffnung – Hoffnung! - in der Stimme, dass sich etwas in Johns Brust zusammenzog. Er biss sich auf die Lippe und schloss für einen Moment die Augen.
Gibst du uns eine Chance, John? – Das war die eigentliche, die unausgesprochene Frage.
Himmel, Rodney wollte das!
Der Tag nach der Belagerung. Sein Quartier im fahlen Morgenlicht. Der Ausdruck in Rodneys Gesicht – so etwas wie Bedauern, Sehnsucht in seinen Augen. Zu flüchtig, um sicher sein zu können. Wunschdenken.
Nein, kein Wunschdenken. Verdammt, Rodney hätte ihnen damals schon eine Chance gegeben.
Er warf Rodney einen verstohlenen Seitenblick zu. Der hatte den Kopf gesenkt und hielt eine Bierdose mit der Rechten so fest umklammert, dass er sie beinahe eindrückte, während er mit dem Zeigefinger der Linken immer und immer wieder den Rand entlang fuhr.
John atmete tief durch, blickte wieder auf den Ozean hinaus, auf das sanfte Wogen der Wellen. Er hatte es in der Hand, wie dieses seltsame Spiel zwischen ihm und Rodney weiterlief, hatte es von Anfang an in der Hand gehabt. Wenn er jetzt „nein“ sagte, würde Rodney sich früher oder später damit abfinden, würde das, was zwischen ihnen geschehen war, abhaken. Als etwas, das keine Bedeutung hatte, als eine der vielen unerforschten Wirkungen dieses Zeugs in der Zelle, vielleicht.
Er hatte schon einmal vor dieser Entscheidung gestanden. Ja oder nein. Und er hatte „nein“ gesagt. An jenem Morgen nach der Belagerung durch die Wraith. Der Kontakt zur Erde gerade wiederhergestellt, er selbst mehr auf einem Schleudersitz, als auf einem sicheren Posten sitzend, das schwarze Schaf der Atlantis-Expedition, Caldwells Misstrauen und die Kugel die Sumner getötet hatte, gegen sich.
Und was Rodney wirklich für ihn empfand, hatte John damals nur vermuten können.
Jetzt, gut eineinhalb Jahre später, war das anders. Jetzt hatte er Gewissheit, was Rodney anging. Jetzt war alles anders. Und jedes Mal, wenn einer von ihnen dem Tod gerade noch so von der Schippe gesprungen war, wurde die mahnende Stimme in ihm lauter, die ihn erinnerte: Es hätte das letzte Mal sein können, die letzte Chance.
„Ja“, sagte John leise und blickte auf seine Hände.
„Gut“, flüsterte Rodney nach einer Weile und John hörte Erleichterung und ein Lächeln in seiner Stimme. „Das ist gut. Ich … ich erinnere mich daran. Mehr daran, als … als an das Gefühl zu ertrinken. In dem Jumper. Du musst wissen, ich hatte das Gefühl in dem Jumper zu stecken und Griffin war da und der halbe Ozean über mir und …“
„Ich weiß.“
„Ja. Richtig. Ich wollte nur sagen, der Kuss, das … das Küssen, das war gut.“
„Wirklich?“, fragte John und spürte, wie sein Herz schneller schlug.
„Ja.“
John öffnete mit unsicheren Fingern sein Bier und sagte leise: „Ja. Ja, das war es.“
Für einen Augenblick befürchtete er, dass Rodney das als Aufforderung verstehen würde, dass Rodney sich jetzt einfach zu ihm herüber lehnen und ihn küssen würde. Unwillkürlich verkrampften sich seine Hände um die Bierdose und er unterdrückte den Impuls, von Rodney abzurücken. Denn das würde er nicht können, nicht jetzt, nicht einfach so, nicht hier, an einem Ort, an dem auch nur der Hauch des Risikos bestand, dass die falsche Person sie beobachtete.
Verzicht und das Bewusstsein vermutlich nie das bekommen zu können, was er wirklich wollte, waren schon lange ein Teil seines Lebens. Er hatte gelernt, mit diesem leisen Ziehen zu leben. Es kam nicht auf ein paar Tage an. Denn das hier, mit Rodney – mit einem Freund – war mehr als er je erwartet hatte. Er wollte nicht, dass es vorbei war, bevor es richtig angefangen hatte.
Und dann war da noch der kleine, feige Teil in ihm, der zögerte, etwas zu beginnen, das ihn so verletzlich machte.
Er spürte Rodneys Blick auf sich ruhen. Rodney beobachtete ihn, machte jedoch keine Anstalten ihn zu küssen, sondern sagte langsam: „Vielleicht … vielleicht könnten wir das … noch einmal tun. Bei Gelegenheit. Wenn du … wenn du willst.“
Es war seltsam mit Rodney. Er schien, trotz seiner Begabung zielsicher die meisten Fettnäpfchen zu erwischen, mitunter doch eine feine Antenne für Johns Stimmungen zu haben und in seltenen, aber entscheidenden Momenten sagte, oder tat er genau das Richtige.
John musste unwillkürlich lächeln und spürte, wie er sich wieder entspannte. „Vielleicht.“
„Was? Was vielleicht? Du willst vielleicht, oder wir tun es vielleicht?“ Rodneys Stimme
war eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Neckerei.
John biss sich auf die Lippen. „Ich … ich will das, okay?“ Er holte tief Luft und gestand wenigstens den leichteren Teil der Wahrheit. „Aber es wird schwierig werden, nicht aufzufliegen. Hier, auf Atlantis.“
„Hm.“ Jetzt war es Rodney, der angestrengt auf den Ozean hinaus blickte. „‘Schwierig‘ hat uns bisher noch nie aufgehalten. Außerdem – ich bin ein Genie, weißt du?“ Er wandte sich John zu und sagte leise, mit einem schiefen Lächeln: „Und ich stehe in dem Ruf ziemlich hartnäckig zu sein, wenn mir etwas wichtig ist.“
„Ich weiß.“ John erwiderte das Lächeln und rutschte ein wenig zur Seite, so, dass sich ihre Schultern berührten. Er genoss es, Rodneys Körperwärme zu spüren, zu fühlen, wie auch Rodney sich leicht gegen ihn lehnte. Eine harmlose Geste für jeden, der sie sah, aber ein Versprechen auf mehr für sie beide. „Darauf bau ich.“
~ ENDE ~

Und zum Abschluß das wunderschöne Wallpaper, das Lorien ganz fix noch gezaubert hat:
http://img258.imageshack.us/img258/3296/sinaidafinsterwpkopie.jpg
Mit einem innerlichen Seufzen wandte John sich vom Anblick der untergehenden Sonne vor seinem Fenster ab. Zwei Tage, seit Carson ihn entlassen hatte, und er war der Lösung seines Problems noch keinen Schritt näher gekommen.
Das Einzige, was er getan hatte, war Zeit schinden, indem er Rodney erst einmal aus dem Weg gegangen war. Eine Taktik, die nur so lange funktionierte, wie er Carsons „lassen sie’s ruhig angehen, Colonel“ vorschieben konnte. Spätestens morgen, bei der Nachbesprechung der Palatia-Mission, würden sie im selben Raum sitzen. Und er wusste, dass McKay mit ihm reden wollte. Zweimal war er ihm gerade noch entwischt. Rodney konnte Bluthund-Qualitäten entwickeln, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
John ließ sich, so wie er war, in Uniform und Stiefeln, aufs Bett fallen, legte die Hände auf den Bauch und starrte an die Decke, die auch keine Antworten für ihn parat hatte.
Sein verletzter Finger schmerzte, eine Folge der Physiotherapiestunde, die seine Heilung beschleunigen sollte. Überdehnte Gelenkkapsel lautete die Diagnose. John musste unwillkürlich lächeln. Gute Reaktion von Rodney, ihm einen Finger umzubiegen und sich so zu befreien. Dass er die Hand trotz Schmerz und Schwellung danach noch bewegen konnte, war nur ein Indiz dafür, wie high er in diesem Kerker gewesen war.
Der Kerker.
Johns Lächeln verschwand wie weggewischt.
Egal woran er in den letzten Tagen dachte, früher oder später führte es ihn immer wieder dorthin zurück.
Denn jetzt konnte er wieder klar – klarer – denken, dank Carsons Destillat aus Pajunis Beruhigungsdroge. Von unerwünschten Substanzen befreit und hoch genug dosiert ein ausgezeichnetes Mittel gegen die Wirkung der Sporen, wie Carson herausgefunden hatte. Zu viel von dem Zeug in seiner Ursprungsform lähmte allerdings den Herzmuskel, während eine winzige Menge, wie die in Rodneys Tee, hauptsächlich ein starkes Schlafmittel war, das nebenbei die Aufnahme der Sporen in den Körper verlangsamte und den Abbau ihres Giftes beschleunigte.
Nur deswegen war es Rodney gelungen, halbwegs bei Verstand zu bleiben.
John bedeckte seine Augen mit einem Arm.
Pajunis Mittel und Rodneys halsstarriges Durchhaltevermögen hatten ihnen das Leben gerettet.
Während ihm selbst die Zügel entglitten waren, die er seinem eigenen Verlangen seit Jahren anlegte.
Er biss sich auf die Lippen.
Bisher waren es nur flüchtige, rasch unterdrückte Gedanken gewesen, ein Wunschtraum, nichts Reales – jetzt aber hatte er echte Erinnerungen, wusste, wie Rodneys Körper sich gegen seinen gepresst anfühlte, wie er küsste, wie … Verflucht, wie sollte er das je wieder in den hintersten Winkel seines Sinnes stopfen und so tun, als existiere es nicht?
Frustriert ließ er die unverletzte Faust auf die Matratze fallen.
Und warum hatte Rodney sich überhaupt auf den Kuss eingelassen, verdammt? Das war doch die Frage, nicht wahr?
Lieber den Verrückten küssen, als von ihm erwürgt zu werden?
War das die gute oder die schlechte Antwort? Die Antwort, die er hören wollte? Es war die sichere Antwort. Diejenige, auf die er vernünftigerweise hoffen sollte.
Und wenn es gar nicht so einfach war?
Was, wenn dieses Sporenzeug auch bei Rodney Wahrheiten an die Oberfläche gespült hatte?
Was, wenn sich rausstellte, dass alles, was noch zwischen ihm und Rodney stand ein Haufen Regeln war? Ein Haufen Regeln und das Risiko, Atlantis und damit auch Rodney zu verlieren?
Zum Teufel, er war nicht gut in solchen Sachen. Das Scheitern seiner Ehe war der beste Beweis dafür und nicht Nancys Schuld gewesen. Das, was Nancy zermürbt hatte – seine „Mauern“, wie sie es ausgedrückt hatte - war nach wie vor da. Nicht anzunehmen, dass Rodney geduldiger war als seine Ex.
Er hatte es damals nicht geschafft, über seinen Schatten zu springen. Nicht für Nancy.
Aber für Rodney?
Nein, er war wirklich nicht gut in solchen Sachen.
Der Türsummer ertönte und riss ihn aus seinen Grübeleien. Natürlich, keine Frage, wer ihn ausgerechnet jetzt besuchen wollte. John holte tief Luft, schwang die Füße über den Rand des Bettes und öffnete die Tür.
Rodney - wer sonst? Mit der stur-entschlossenen Miene, die er sonst für widerspenstige Antikertechnologie reservierte und ihrem Schachbrett unterm Arm.
„McKay, ich ...“
Rodney drängte sich an ihm vorbei, noch bevor sich die Tür ganz geöffnet hatte. Also schön. „Hallo McKay, komm doch rein“, bemerkte John ironisch zur leeren Türöffnung, ehe er sich mit einem resignierten Seufzen umdrehte. Offenbar war jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen.
Mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn beobachtete er, wie Rodney das Schachspiel auf dem kleinen Tisch aufbaute und dabei hauptsächlich die rechte Hand benutze. Rodney schonte den linken Arm. Warum denn das?
„Was ist mit deinem Arm?“, fragte John und hätte sich im selben Moment in den Hintern treten können. Wo hat sich McKay höchstwahrscheinlich in den letzten Tagen den Arm verletzt, hm, John?
Rodney sah rasch auf, den weißen König in der Hand. „Was? Oh, die Schulter. Das ist in der Zelle passiert. Nicht weiter schlimm.“ Er wich Johns Blick aus, stellte die Spielfigur auf das Schachbrett und rückte sie mit umständlicher Sorgfalt genau in die Mitte des kleinen Quadrats.
Nicht weiter schlimm?
Wie bitte? McKay ließ sich die Gelegenheit für einen langen Monolog über die verheerenden und schmerzhaften Folgen einer Schulterverletzung entgehen? Das klang gar nicht gut. Die ganze Sache ging Rodney offenbar wirklich sehr an die Nieren.
John presste die Lippen zusammen und nickte. Sein Blick fiel auf die verblassenden Würgemale an Rodneys Hals und ihm wurde bei dem Anblick ein klein wenig schlecht. Es war knapp gewesen. So verdammt knapp. Seine eigenen Blessuren, die Rodney ihm verpasst hatte, waren weitere Zeugen davon, wie verzweifelt McKay sich gewehrt hatte. Gegen ihn. Er schluckte gegen die Übelkeit an.
„So, wir spielen jetzt“, verkündete Rodney und machte eine auffordernde Geste in Richtung Schachbrett.
Schärfer als beabsichtigt erwiderte John: „Oh, tatsächlich? Seit wann planst du meine Freizeit?“
Rodney ignorierte sowohl Frage als auch Tonfall und seufzte. „Ernsthaft, Sheppard, ich weiß nicht, mit wem ich sonst spielen soll, solange ich noch nicht ganz auf der Höhe bin. Zelenka hat jetzt eine echte Chance gegen mich – die er sonst nie hätte – und es macht ihn tagelang unerträglich selbstgefällig und bockig, wenn er einmal mühsam gegen mich gewinnt.“
John hatte größte Probleme, sich einen bockigen Zelenka vorzustellen geschweige denn, einen Rodney, der davor flüchtete. Es war das durchsichtigste Manöver aller Zeiten. Rodney suchte seine Gesellschaft. Und dafür hätte er ihn am liebsten einfach an den Schultern gepackt und geküsst. Er wollte zwar dem Gespräch aus dem Weg gehen, aber Rodney selbst hatte ihm gefehlt, in den vergangenen Tagen.
Den letzten Kommentar konnte er aber keinesfalls so stehen lassen. Er grinste schief und zielte mit dem Zeigefinger auf Rodney. „Was, McKay? Du willst also sagen, dass du mich für den Einzigen hältst, der momentan dumm genug ist, um gegen dich im Schach zu verlieren?“
Das war endlich wieder vertrautes Terrain, die Art, wie sie normalerweise miteinander umgingen.
Rodney verzog das Gesicht. „Das … ähm … kam wohl anders heraus, als beabsichtigt.“ Er atmete tief durch, sah John direkt in die Augen und sagte zögernd: „Hör zu, ich weiß, du … du willst nicht reden, über M8H-435 und …“
Aha! „McKay, das ist …“
Rodney brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Und was dort passiert ist. Mir ist auch klar, dass du mir deswegen seit Tagen aus dem Weg gehst.“
John biss sich auf die Lippe. „Das ist nicht ganz …“, begann er.
„Neinneinnein.“ Abwehrend hob Rodney die Hand. „Schon in Ordnung. Ich nehme das nicht persönlich, sondern als das, was es ist – ein weiterer Teil dessen, das dich zu …“, seine Hand wedelte vor John auf und ab, „dir macht.“
John quittierte die Bemerkung mit einem Augenbrauenhochziehen.
„Was ich damit sagen will, ist, wir müssen nicht reden. Nur … nur spielen. In Ordnung?“
Rodneys Stimme verlor bei den letzten Worten etwas von ihrer aufgesetzten Forschheit.
Der letzte Rest Widerstand in John schmolz.
„Nicht reden? Soll ich „Schach matt“ dann per Morsezeichen auf den Tisch klopfen?“, fragte er mit milder Ironie und zog sich einen zweiten Stuhl heran.
Rodney setze sich mit einem geradezu strahlenden Lächeln. „Dazu wird es nicht kommen, Sheppard“, sagte er und reckte herausfordernd das Kinn. „Ich habe nicht vor, zu verlieren.“
Rodney steuerte trotzdem von Anfang an direkt auf eine Niederlage zu und spielte so unkonzentriert, dass John sich ernsthaft fragte, ob Rodney für ein Schachspiel tatsächlich schon fit genug war. Ab und zu hielt Rodney inne, als lausche er auf irgendetwas.
„Hörst du das?“, fragte Rodney schließlich, als er nach seinem Springer griff.
„Was?“ John sah sich um.
„Nichts, nichts“, winkte Rodney ab und starrte angestrengt auf das Schachbrett. Seine Hand, mit der er die Spielfigur absetzte, bebte leicht.
Nach drei weiteren Zügen sprang er plötzlich auf, stolperte hastig in Johns Badezimmer und blieb schwer atmend vor dem Waschbecken stehen, die Hände so fest um den Beckenrand geklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
„Rodney, was …?“ John schoss aus seinem Stuhl, hastete zu Rodney und blieb hinter ihm stehen. Er beobachtete das blasse Gesicht seines Freundes im Spiegel. Rodney sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. „Rodney ist dir … ist alles okay?“, fragte er atemlos.
„Ich … ich höre Wasser tropfen“, flüsterte Rodney und ließ den Kopf hängen. „Die ganze Zeit. Nur dass … dass es nicht der Wasserhahn ist oder die Dusche, wie ich jetzt feststelle.“ Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Das passiert immer wieder. Manchmal sehe ich Griffin, Griffins Leiche und …“ Hastig blinzelte er. „Carson sagt, dass es bald vorübergeht.“ Rodney schnaubte. „Offensichtlich weiß er selbst nicht wirklich, wie dieses Moos-Zeug genau auf den Körper wirkt.“
„Kein Wunder“, bemerkte John mit rauer Stimme und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Die Versuchung war zu groß, sie auf Rodneys angespannte, gebeugte Schultern zu legen, in seinen Nacken gleiten zu lassen, das weiche Haar dort zu berühren.
Rodney holte tief Luft. „Ich sage mir immer, dass es nicht echt ist, aber … Es ist nur so verdammt real, manchmal.“
John dachte an heiseres Fauchen und die Berührung einer kalten, nicht menschlichen Hand an seiner Brust – jeden Abend kurz vor dem Einschlafen, wenn es ganz dunkel war in seinem Quartier - und murmelte: „Ich weiß.“
Rodney suchte seinen Blick im Spiegel. „Du … du auch? Hört du, oder siehst du auch manchmal noch …?“
„Ab und zu“, sagte John leichthin und tat die Albträume der letzten Tage mit einem Schulterzucken ab.
Rodney drehte sich zu ihm um, lehnte sich ans Waschbecken und schluckte hart. „Enge Räume. Es ist … besonders schlimm in engen, kleinen Räumen.“
John musterte Rodneys erschreckend blasses Gesicht für einen Moment, ehe er mit dem Kopf in Richtung Tür deutete. „Komm, gehen wir raus. Ich kann auch etwas frische Luft gebrauchen.“
„Ich … ich habe mit Heightmeyer gesprochen – gestern“, erwähnte Rodney, während er seine Bierdose öffnete. „Offensichtlich habe ich diesen Jumper-Unfall von damals doch nicht so gut verkraftet, wie ich gedacht hatte.
„Ja, scheint so.“ John blickte auf den nächtlichen Ozean hinaus. Es war schön, hier draußen am Pier. Ruhig und friedlich. Unter ihm die sanfte Brandung der Wellen, über ihm die Sterne. Er spürte, wie sich unter der Weite des Himmels und der Endlosigkeit des Ozeans etwas in seinem Innern entspannte.
„Jedenfalls meint sie, dass ein paar weitere Sitzungen wohl nötig sind.“
„Viel Spaß“, entgegnete John ironisch. Rodney genoss die Routine-Sitzungen bei Heightmeyer – eine Stunde, in der er nur über sich und seine Wehwehchen reden konnte – aber er war alles andere als begeistert von den Seelenstrip-Runden nach schiefgelaufenen Missionen, die ihn dazu zwangen, über seine tatsächlichen Ängste zu sprechen. Was den letzten Punkt anging, waren sie beide nicht sehr verschieden.
„Und du und dieser Wraith, anscheinend hast du da auch noch einiges aufzuarbeiten, hm?“
„Ich will nicht darüber reden“, erwiderte John abweisend und trank einen Schluck Bier. Er würde es tun müssen – mit Heightmeyer. Zumindest würde er pro forma die verordneten Sitzungen bei ihr durchstehen und nach Möglichkeit mit wenigen Worten das sagen, was sie hören wollte. Darin hatte er Übung. Was Heightmeyer aber leider inzwischen nur zu gut wusste.
Rodney schnaubte. „Keine sehr gesunde Einstellung, Sheppard. Reden hilft, gewisse Dinge zu verarbeiten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls, wenn man mit der richtigen Person redet.“
John warf ihm einen langen, warnenden Seitenblick zu. Klar, dass Rodney seine Einladung zu Bier am Pier für einen Freibrief hielt, über das zu sprechen, was in Palatia geschehen war. Was auch grundsätzlich kein Problem darstellte – solange Rodney das Reden übernahm.
Eine Weile tranken sie schweigend. John beobachtete das Glitzern des Mondlichts auf dem Wasser. Es war beruhigend, fast hypnotisch. Ach, verdammt, er wollte nicht einmal darüber nachdenken, was in der Zelle passiert war, jetzt, da er es konnte, da sein Gedächtnis wieder halbwegs mitspielte. Es präsentierte ihm auch so schon mehr Details, als ihm lieb war.
Die erstickende Angst vor diesem Wraith, die er nur zu leicht in die vertraute, kalt-beherrschte Entschlossenheit, den Feind um jeden Preis auszuschalten, verwandelt hatte.
Fokussiert, zielgerichtet - um die Bedrohung zu beseitigen. Nur dass er die Bedrohung gewesen war. Eine tödliche Bedrohung für Rodney. Und das, obwohl er sich nach der Sache mit dem Wraith-Gerät auf M1B-129 geschworen hatte, es nie mehr zu so etwas kommen zu lassen.
Die Details waren nebelhaft, aber das, woran er sich erinnerte …
Nein, nichts was er jetzt oder in Zukunft mental wiederkäuen wollte.
Lebendige, schweißfeuchte Haut unter seinen Fingern, seinen Lippen. Eine Hand in seinem Haar, elektrisierend, erregend.
Oh, verflucht, das würde ihn jedoch noch lange verfolgen.
Entschieden unterdrückte er diese Erinnerungen. Nichts woran er denken sollte, während der Mann neben ihm saß. Er trank den letzten Schluck seines Bieres, stellte die leere Dose neben sich und nahm sich eine neue.
„Ich … ich frage mich, was davon real war, was wirklich geschehen ist“, sagte Rodney leise. „Ich bin mir bei einigen Dingen nicht sicher. Denn einiges ist bestimmt nicht geschehen, weil es unmöglich ist, dass … nun, weil einiges eben unmöglich sein kann.“
John runzelte verwirrt die Stirn. Wieso konnte das unmöglich passiert …? Oh, die Jumper-Geschichte, vermutlich, und Griffin. „Ich denke du quatschst schon mit Heightmeyer darüber.“
„Ja, aber nicht über alles. Manches ist zu … privat.“
Oh, das klang nicht nach der Jumper-Sache.
Rodney schluckte hörbar. „Darüber sollte ich besser mit … mit dir reden.“
Natürlich. Mit ihm.
John fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. Ihm war der fragende Ton in Rodneys Stimme nicht entgangen und er musste dessen Gesicht nicht sehen, um genau zu wissen, dass Rodney seine Lippen jetzt in dieser Mischung aus Unsicherheit und sturer Herausforderung zusammengepresst hatte. Rodney würde nicht locker lassen, so viel war klar.
John biss sich auf die Lippe, spielte mit dem Verschluss der Bierdose und starrte demonstrativ in die Ferne, dorthin, wo das tanzende Licht auf den Wellen mit dem Sternenhimmel verschmolz.
Rodney seufzte. „Hör zu Sheppard, ich will nur sicher sein, dass …“ Er unterbrach sich und holte tief Luft. „Ich bin Wissenschaftler, John. Ich brauche Fakten.“ Rodney stockte erneut und rieb sich die Stirn. „Also, was ich meine ... wenn Fakten da sind, wenn man sie erfahren kann, dann ...“
Der Hauch Unsicherheit in Rodneys Stimme ließ etwas in John nachgeben.
„John, es gibt nur eines, was ich wissen muss. Nur eine Frage. Ich – ich kann nicht leben mit der ... mit Ahnungen und Mutmaßungen, wenn ... wenn ...“
Jetzt klang Rodney hilflos und verloren und das war … einfach falsch. So sollte Rodney nicht klingen dürfen. Irritiert, genervt, wütend, beißend sarkastisch – ja. Aber nie verloren. „Okay“, hörte John sich sagen und erschrak vor seiner eigenen Courage.
„Wenn …“ Rodney unterbrach sich mitten im Satz. „Was? Okay?
„Frag einfach, bevor ich mir’s anders überlege.“
„Hast du mich geküsst, weil es das ist, was du wirklich willst?“, erwiderte Rodney ohne Zögern, aber mit so viel Hoffnung – Hoffnung! - in der Stimme, dass sich etwas in Johns Brust zusammenzog. Er biss sich auf die Lippe und schloss für einen Moment die Augen.
Gibst du uns eine Chance, John? – Das war die eigentliche, die unausgesprochene Frage.
Himmel, Rodney wollte das!
Der Tag nach der Belagerung. Sein Quartier im fahlen Morgenlicht. Der Ausdruck in Rodneys Gesicht – so etwas wie Bedauern, Sehnsucht in seinen Augen. Zu flüchtig, um sicher sein zu können. Wunschdenken.
Nein, kein Wunschdenken. Verdammt, Rodney hätte ihnen damals schon eine Chance gegeben.
Er warf Rodney einen verstohlenen Seitenblick zu. Der hatte den Kopf gesenkt und hielt eine Bierdose mit der Rechten so fest umklammert, dass er sie beinahe eindrückte, während er mit dem Zeigefinger der Linken immer und immer wieder den Rand entlang fuhr.
John atmete tief durch, blickte wieder auf den Ozean hinaus, auf das sanfte Wogen der Wellen. Er hatte es in der Hand, wie dieses seltsame Spiel zwischen ihm und Rodney weiterlief, hatte es von Anfang an in der Hand gehabt. Wenn er jetzt „nein“ sagte, würde Rodney sich früher oder später damit abfinden, würde das, was zwischen ihnen geschehen war, abhaken. Als etwas, das keine Bedeutung hatte, als eine der vielen unerforschten Wirkungen dieses Zeugs in der Zelle, vielleicht.
Er hatte schon einmal vor dieser Entscheidung gestanden. Ja oder nein. Und er hatte „nein“ gesagt. An jenem Morgen nach der Belagerung durch die Wraith. Der Kontakt zur Erde gerade wiederhergestellt, er selbst mehr auf einem Schleudersitz, als auf einem sicheren Posten sitzend, das schwarze Schaf der Atlantis-Expedition, Caldwells Misstrauen und die Kugel die Sumner getötet hatte, gegen sich.
Und was Rodney wirklich für ihn empfand, hatte John damals nur vermuten können.
Jetzt, gut eineinhalb Jahre später, war das anders. Jetzt hatte er Gewissheit, was Rodney anging. Jetzt war alles anders. Und jedes Mal, wenn einer von ihnen dem Tod gerade noch so von der Schippe gesprungen war, wurde die mahnende Stimme in ihm lauter, die ihn erinnerte: Es hätte das letzte Mal sein können, die letzte Chance.
„Ja“, sagte John leise und blickte auf seine Hände.
„Gut“, flüsterte Rodney nach einer Weile und John hörte Erleichterung und ein Lächeln in seiner Stimme. „Das ist gut. Ich … ich erinnere mich daran. Mehr daran, als … als an das Gefühl zu ertrinken. In dem Jumper. Du musst wissen, ich hatte das Gefühl in dem Jumper zu stecken und Griffin war da und der halbe Ozean über mir und …“
„Ich weiß.“
„Ja. Richtig. Ich wollte nur sagen, der Kuss, das … das Küssen, das war gut.“
„Wirklich?“, fragte John und spürte, wie sein Herz schneller schlug.
„Ja.“
John öffnete mit unsicheren Fingern sein Bier und sagte leise: „Ja. Ja, das war es.“
Für einen Augenblick befürchtete er, dass Rodney das als Aufforderung verstehen würde, dass Rodney sich jetzt einfach zu ihm herüber lehnen und ihn küssen würde. Unwillkürlich verkrampften sich seine Hände um die Bierdose und er unterdrückte den Impuls, von Rodney abzurücken. Denn das würde er nicht können, nicht jetzt, nicht einfach so, nicht hier, an einem Ort, an dem auch nur der Hauch des Risikos bestand, dass die falsche Person sie beobachtete.
Verzicht und das Bewusstsein vermutlich nie das bekommen zu können, was er wirklich wollte, waren schon lange ein Teil seines Lebens. Er hatte gelernt, mit diesem leisen Ziehen zu leben. Es kam nicht auf ein paar Tage an. Denn das hier, mit Rodney – mit einem Freund – war mehr als er je erwartet hatte. Er wollte nicht, dass es vorbei war, bevor es richtig angefangen hatte.
Und dann war da noch der kleine, feige Teil in ihm, der zögerte, etwas zu beginnen, das ihn so verletzlich machte.
Er spürte Rodneys Blick auf sich ruhen. Rodney beobachtete ihn, machte jedoch keine Anstalten ihn zu küssen, sondern sagte langsam: „Vielleicht … vielleicht könnten wir das … noch einmal tun. Bei Gelegenheit. Wenn du … wenn du willst.“
Es war seltsam mit Rodney. Er schien, trotz seiner Begabung zielsicher die meisten Fettnäpfchen zu erwischen, mitunter doch eine feine Antenne für Johns Stimmungen zu haben und in seltenen, aber entscheidenden Momenten sagte, oder tat er genau das Richtige.
John musste unwillkürlich lächeln und spürte, wie er sich wieder entspannte. „Vielleicht.“
„Was? Was vielleicht? Du willst vielleicht, oder wir tun es vielleicht?“ Rodneys Stimme
war eine Mischung aus Ernsthaftigkeit und Neckerei.
John biss sich auf die Lippen. „Ich … ich will das, okay?“ Er holte tief Luft und gestand wenigstens den leichteren Teil der Wahrheit. „Aber es wird schwierig werden, nicht aufzufliegen. Hier, auf Atlantis.“
„Hm.“ Jetzt war es Rodney, der angestrengt auf den Ozean hinaus blickte. „‘Schwierig‘ hat uns bisher noch nie aufgehalten. Außerdem – ich bin ein Genie, weißt du?“ Er wandte sich John zu und sagte leise, mit einem schiefen Lächeln: „Und ich stehe in dem Ruf ziemlich hartnäckig zu sein, wenn mir etwas wichtig ist.“
„Ich weiß.“ John erwiderte das Lächeln und rutschte ein wenig zur Seite, so, dass sich ihre Schultern berührten. Er genoss es, Rodneys Körperwärme zu spüren, zu fühlen, wie auch Rodney sich leicht gegen ihn lehnte. Eine harmlose Geste für jeden, der sie sah, aber ein Versprechen auf mehr für sie beide. „Darauf bau ich.“

Und zum Abschluß das wunderschöne Wallpaper, das Lorien ganz fix noch gezaubert hat:
http://img258.imageshack.us/img258/3296/sinaidafinsterwpkopie.jpg